Dr.-Ing. Dominik Noroschat; Taskforce Digitalisierung, Fachbereich für Informationstechnologie und Zentrale Dienste Stadt Hagen
„Klimakommune.digital – Mit digitalen Technologien den kommunalen Klimaschutz und die urbane Energiewende vorantreiben.“
Kommunen sind zentrale Akteure im Kampf gegen den Klimawandel und für die Gestaltung der Digitalisierung vor Ort. Das Projekt Klimakommune.digital setzt genau an diesem Punkt an und zeigt, wie digitale Technologien einen entscheidenden Beitrag zum kommunalen Klimaschutz und zur urbanen Energiewende leisten können.
In einem bundesweiten Auswahlverfahren hat sich die Stadt Hagen 2021 gemeinsam mit der Enervie Service GmbH und weiteren Konsortialpartnern als Projektstandort qualifiziert. Bis 2025 soll Hagen unter Einsatz moderner IoT-Technologien und einer innovativen kommunalen Datenplattform zu einer Vorreiterstadt im Bereich der Smart City-Entwicklung mit Fokus auf Klimaschutz werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen als Blaupause für andere Städte und Gemeinden dienen.
Im Interview mit Dominik Noroschat sprechen wir über die Ziele, Herausforderungen und Chancen dieses zukunftsweisenden Projekts sowie die konkrete Umsetzung in Hagen.
Das Projekt klimakommune.digital steht unter den Leitthemen Klimaschutz und Digitalisierung. Das klingt erst einmal sehr weit gefasst. Welche konkreten Klimaschutzthemen und -aufgaben werden mit dem Projekt adressiert und wie wichtig ist bei diesen Themen der Einsatz digitaler Technologien?
Das Themenfeld ist in der Tat weit gefasst, was dazu führt, dass wir auch einen breiten Projektansatz verfolgen. Grundsätzlich ist es unser Ziel, den Nachweis zu erbringen, dass wir mithilfe von IoT-Sensoren eine digitale Echtzeit-CO₂-Bilanz ermöglichen können. Hierfür adressieren wir die Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie. Aktuell basiert die CO2-Bilanz für Hagen auf Daten, die bis zu fünf Jahre alt sind. Wir erhoffen uns durch die angestrebte Echtzeit-CO₂-Bilanz den manuellen Aufwand zu verringern und uns in die Lage zu versetzen, Klimaschutzmaßnahmen besser und zeitnah validieren zu können.
Neben der digitalen Echtzeit-CO₂-Bilanz möchten wir in den genannten Sektoren auch bereits Use-Cases umsetzen, die dazu führen, CO₂-Emissionen zu verringern, deren Wirksamkeit wir idealerweise dann auch messen können.
Im Sektor Verkehr nutzen wir CO₂-Sensoren und optische Sensoren zur Verkehrszählung und Klassifizierung von einzelnen Verkehrsteilnehmenden. Darauf aufbauend setzen wir ein Verkehrsmodell um, mit dessen Hilfe wir Maßnahmen für eine CO₂-optimierte Verkehrssteuerung simulieren und bei erfolgreicher Prognose auch in den Realbetrieb bringen. Zudem setzen wir Parksensoren zur Verringerung von Parksuchverkehr und zur besseren Nutzbarkeit von P+R-Parkplätzen ein. In Zusammenarbeit mit dem Hagener Entsorgungsbetrieb (HEB) möchten wir intelligente Papierkörbe mit Füllstandsensorik umsetzen, um Touren und Routen für die Leerung zu optimieren und dadurch Leerfahrten einzusparen.
Im Sektor Gebäude rüsten wir alle unsere städtischen Gebäude mit intelligenten Messsystemen für die Messung von Stromverbräuchen und LoRaWAN-Sensoren für Gas, Wasser und Wärmeverbräuche ein. Darüber hinaus werden alle ca. 670 Trafostationen in Hagen digitalisiert. Dadurch haben wir zukünftig jederzeit einen Überblick über unsere Verbräuche und können Effizienzmaßnahmen besser bewerten. Zudem werden wir intelligente Einzelraumregelungen umsetzen und planen Energiesparchallenges für BürgerInnen.
Im Sektor Industrie beteiligen sich fünf Industrieunternehmen aus Hagen. Hier werden Gas- und Stromverbräuche insgesamt sowie an einzelnen Maschinen und Produktionslinien gemessen. Dadurch können Effizienzmaßnahmen beispielsweise durch die Investition in neue Maschinen und Anlagen oder durch die Variation von Stücklisten und Prozessparametern besser bewertet werden und Investitionen können zielgerichtet gesteuert werden.
Neben Maßnahmen für den Klimaschutz setzen wir im Projekt auch Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung um. Dazu zählen Frühwarnsysteme für Hochwasser und Waldbrand sowie eine Gießplattform, die BürgerInnen dazu motivieren soll, sich an der Bewässerung von Stadtbäumen zu beteiligen.
Das Projekt baut auf einem breit aufgestellten Konsortium auf. Welche Rolle spielen lokale Konsortialpartner wie die Enervie Service GmbH, aber auch Industriepartner bei der Umsetzung und Verstetigung des Projekts?
Das Projektkonsortium besteht aus der Stadt Hagen, der ENERVIE Service GmbH, der Hagener Gemeinnützige Wohnungs GmbH (ha.ge.we), fünf Industrieunternehmen aus Hagen, dem Hagener Entsorgungsbetrieb (HEB), dem Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) und der Hagener Straßenbahn AG (HST). Die technische Beratung erfolgt durch das Zentrum für digitale Entwicklung (ZDE). Die Projektleitung hat die Deutsche Energie-Agentur (DENA). Die wissenschaftliche Begleitforschung im Projekt erfolgt durch die Deloitte Consulting GmbH und das Fraunhofer IOSB-INA. Darüber hinaus holen wir uns regelmäßig durch Befragungen das Feedback der Hagener BürgerInnen.
Das große Projektkonsortium spiegelt gewissermaßen wider, dass Klimaschutz nur gelingen kann, wenn viele Akteure zusammenarbeiten. Es bedarf vieler Einzelmaßnahmen, um im Ergebnis den Klimawandel signifikant beeinflussen zu können.
Die Unterstützung dieser wichtigen Stakeholder ist notwendig, damit viele der Maßnahmen überhaupt realisiert werden können. Beispielspiele sind die Umsetzung von intelligenten Papierkörben mit dem HEB, die Erhebung von Energieverbräuchen in der Industrie oder die Einführung einer optimierten Verkehrssteuerung mit ÖPNV-Bevorrechtigung mit der HST.
Zudem helfen die Stakeholder dabei, die Mehrwerte und optimierten Prozesse, die wir im Projekt erarbeiten, in den Regelbetrieb zu überführen und stellen die notwendige Infrastruktur bereit. Ein Beispiel dafür ist das LoRaWAN-Netz der ENERVIE Service GmbH.
Das Projekt klimakommune.digital macht die digitale Erhebung von Daten zur Ermittlung der CO₂-Emissionen in Kommunen zum zentralen Betrachtungsgegenstand. Dabei soll ein Mix aus Sensorik und Softwarelösungen erprobt und im Hinblick auf den Nutzen für den kommunalen Klimaschutz bewertet werden. Konntet ihr in dieser Hinsicht besonders relevante/ überraschende Ergebnisse sammeln, die bereits als Handlungsempfehlungen für andere Kommunen interessant sein könnten?
Um ein abschließendes Resümee zu ziehen, ist es noch etwas zu früh, da das Projekt noch bis Ende 2025 läuft. Am Ende des Projekts wird es eine wissenschaftliche Auswertung der Ergebnisse geben. Es wird einen Baukasten für Kommunen geben, der Handlungsempfehlungen und Referenzprozesse umfasst. Was man zum aktuellen Zeitpunkt sagen kann, ist, dass es wichtig ist, Stakeholder frühzeitig einzubinden. Im Hinblick auf die Soft- und Hardware ist es sinnvoll, auf standardisierte Datenformate und offene Schnittstellen zu setzen, um die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren auf technischer Ebene zu ermöglichen. Grundsätzlich können Daten helfen, Maßnahmen zu validieren und objektive Entscheidungen zu treffen. Im Sektor Gebäude haben wir beispielsweise alle unsere ca. 200 städtischen Gebäude mit Energiesensoren ausgestattet. Dadurch können wir zukünftig alle Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz bewerten und Investitionen zielgerichtet vornehmen. Damit haben wir die Chance, Kosten zu sparen und das Tempo beim Klimaschutz zu erhöhen.
Verwaltungen gelten in der Regel nicht gerade als Innovationsmotoren. Gerade was die Digitalisierung von Prozessen und Abläufen anbelangt, hinken viele Kommunen daher noch hinterher. Welche Erfahrungen habt ihr diesbezüglich in Hagen gemacht? Gab es Herausforderungen, auf die ihr bei der Implementierung gestoßen seid?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man das nicht verallgemeinern kann. Auf der einen Seite gibt es noch viel Potenzial bezogen auf den Einsatz moderner Technologien. Auf der anderen Seite gibt es mehr innovative Projekte und Ansätze, als man vielleicht auf den ersten Blick vermuten könnte. Daher ist es wichtig, sich gut zu vernetzen, um voneinander zu lernen und Synergien zu nutzen. Damit kann sichergestellt werden, dass Lösungen kompatibel sind und unnötige Redundanzen vermieden werden. Eine wesentliche Herausforderung bei der Implementierung ist es, die involvierten Menschen frühzeitig einzubeziehen und abzuholen. Das betrifft sowohl die Menschen, die für die Umsetzung zuständig sind, als auch potenzielle AnwenderInnen.
Ein zentrales Element des Projekts ist die Urban Data Platform (UDP). Was stellt ihr euch darunter vor, welche Funktionen soll diese Plattform im Projekt erfüllen und wie können derartige Infrastrukturen konkret bei Klimaschutzfragen unterstützen?
Unter einer UDP stellen wir uns eine Software vor, die es ermöglicht, Daten aus unterschiedlichen Subsystemen anzubinden, zu verschneiden, in ein einheitliches Datenformat zu überführen und für Drittsysteme über offene Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Im Projekt sollen insbesondere Daten zu CO2-Emissionen und Energieverbräuchen auf der Plattform zusammengeführt werden, um daraus eine Klimabilanz ableiten zu können. Ferner sollen aber auch Daten für einzelne Maßnahmen über die Plattform bereitgestellt werden. Wie bereits erwähnt kann der Klimaschutz nicht von einer einzelnen Stelle sichergestellt werden, sondern es sind viele Akteure dafür notwendig. Somit liegen auch viele wertvolle Daten bei unterschiedlichen Akteuren. Um diesen Datenschatz optimal zu nutzen, bedarf es einer UDP, die als „Datendrehscheibe“ diese Daten zusammenbringt.
Vielen Dank für das Gespräch. Weitere Informationen zum Projekt erhaltet ihr auf der Projektwebsite unter https://future-energy-lab.de/projects/klimakommune/ oder unter http://hagen.de/klimakommune.
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